Metaversum: Mögliche Risiken für Kinder und Jugendliche

Gemeinsam in einem virtuellen Raum dem alltäglichen Leben nachzugehen – das ist das Ziel des Metaversums. Ähnliche Welten existieren bereits in Online-Spielen. Wir erklären Ihnen, welche Gefahren das „begehbare Internet“ birgt.

Frau sitzt vor mehreren mobilen Endgeräten
  Foto Adobe Stock

Einer Filmpremiere im virtuellen Raum beiwohnen oder das Konzert seiner liebsten Sängerin oder seines liebsten Sängers live, aber in einer Online-3D-Welt miterleben? Das geht tatsächlich, und zwar in der virtuellen Welt des Metaversums (bzw. Metaverse, engl. Begriff) – oder zumindest der derzeitigen Vision davon. Erstmals tauchte der Begriff 1992 im Science-Fiction-Roman „Snow Crash“ des Schriftstellers Neal Stephenson auf. Seither versuchen IT-Expertinnen und Experten die darin beschriebene Web-Parallelwelt zu erschaffen – mit bedingtem Erfolg. Spätestens seitdem Facebook-Gründer Mark Zuckerberg sein Unternehmen in „Meta“ umtaufte und die Entwicklung des Metaversums vorantrieb, rückte seine Existenz und die damit einhergehenden technischen Fortschritte in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit. „Die Vision des Metaverse zielt darauf ab, dass einzelne Virtual Reality-Anwendungen, die es ja zum Beispiel in Form von Spielen schon gibt, sozusagen ein einziger, durchgängig begehbarer und erfahrbarer Raum werden“, erklärt Bernhard Jungwirth, Geschäftsführer des Österreichischen Instituts für angewandte Telekommunikation (ÖIAT). Das „Web 3.0“, wie es auch bezeichnet wird, solle dementsprechend möglichst viele Lebensbereiche virtuell abdecken und mehr oder weniger Userinnen und Usern das separate Anmelden in verschiedenen Anwendungen ersparen. Stattdessen würden sogenannte Avatare (vereinfacht gesagt: Online-Spielfiguren) ihre Besitzerinnen und Besitzer in sämtlichen Bereichen des Metaverse repräsentieren.

Auch wenn ein tatsächliches Metaversum laut Experten aufgrund der dafür notwendigen immensen Rechenleistung frühestens in zehn bis zwanzig Jahren existieren wird, sind Metaversum-ähnliche Welten in Online-Games wie Fortnite, Roblox oder Second Life bereits sehr umfangreich in ihren Funktionen und Möglichkeiten. Userinnen und User können sich dort wie im echten Leben treffen, gemeinsam spielen, plaudern, mithilfe von Kryptowährungen shoppen gehen oder eben bei einem tatsächlich stattfindenden Konzert dabei sein. Mitte 2019 feierten beispielsweise knapp 11 Millionen Fortnite-Spielerinnen und Spieler mit dem Musiker Marshmallow, eines der bislang größten Events des Online-Games.

Hinweis

Der diesjährige Safer Internet Day 2022 stand unter dem Motto „Together for a better internet“. In unserem Schwerpunkt dazu werden diverse Themen von Medienkompetenz bis zur Gefahr von Handy-Spielen für Kinder behandelt. Der nächste Safer Internet Day findet am 7. Februar 2023 statt.

Gefahren und Risiken des Metaversums

Wie bei vielen technischen Errungenschaften ist auch diese Entwicklung mit Risiken für das körperliche und psychische Wohlergehen ihrer Nutzerinnen und Nutzer verbunden. Besonders Kinder und Jugendliche haben durch das Internet häufig uneingeschränkten Zugang zu Informationen, die nicht altersgerecht und für sie daher ungeeignet sind. Das von der EU unterstützte Projekt CO:RE (Children Online: Research and Evidence) fasst Online-Gefahren in sogenannten 4Cs zusammen:

  • Content. Diese Kategorie bezieht sich auf potenziell gefährliche Inhalte für Kinder wie beispielsweise Gewalt, Pornografie, Rassismus oder Fake News.
  • Contact. Gemeint ist hiermit der schädliche Kontakt mit Erwachsenen im Sinne von sexueller Belästigung, Stalking, Manipulation oder Radikalisierung.
  • Conduct. Bezeichnet zugefügtes Leid durch andere Kinder oder Jugendliche wie Mobbing, Trolling, sexuelle Belästigung oder Selbst-Verletzung.
  • Contract. Meint die Beteiligung an oder Ausbeutung durch gefährliche Handlungen wie Identitätsdiebstahl, Phishing, Glücksspiel oder Filterblasen.

Dieses Framework, wie Jungwirth es bezeichnet, kann ebenso auf die derzeit bestehende Ausprägung des Metaverse angewendet werden. Bei all diesen Themen würde – neben gängigen gesundheitlichen Auswirkungen von übermäßigem „Vor-dem-Computer-sitzen“ wie ein verschlechtertes Sehvermögen oder Bewegungsmangel – vor allem auch die Flucht vor der Realität eine wesentliche Rolle spielen: „Das Besondere von VR-Welten ist der sehr immersive Charakter. Also dieses Gefühl virtuell eingebettet zu sein, das gerade bei Einsteigerinnen und Einsteigern zu einem überraschend hohen Grad als authentische (Online-)Welt erlebt wird“, so der Experte. Wie auch bei anderen Spielen können Kinder und Jugendliche häufig vor realen Problemen in eine virtuelle Welt flüchten. Unter dem Stichwort Eskapismus zusammengefasst, kann sich das sowohl auf persönliche als auch auf gesellschaftliche Probleme wie etwa den Klimawandel beziehen. „Sie flüchten dorthin, wo die Welt, salopp gesagt, noch in Ordnung ist“, so Jungwirth.

Daneben spiele in der Virtuellen Realität (VR) – anders als bei Sozialen Medien wie Instagram und Co. - aber auch eine gewisse Körperlichkeit durch die verzerrte räumliche Nähe eine Rolle, erklärt er. Da das menschliche Bedürfnis nach sozialen Kontakten auch online befriedigt wird, wirkt das Metaverse immerhin dem Thema Vereinsamung entgegen. Gerade in diesem Zusammenhang ist das Kennenlernen von Mitspielerinnen und Mitspielern jedoch auch mit einem Risiko verbunden. „Sind das wirklich die Guten? Sind sie diejenigen, für die sie sich ausgeben? Haben sie böse Absichten?“, sind Fragen, die laut dem ÖIAT-Geschäftsführer durchaus gewisse Gefahren bergen. Denn gerade in VR-Welten würden negative Erlebnisse wie Cybermobbing oder sexuelle Belästigungen durch das immersive Erleben nochmals verstärkt. „Wird zum Beispiel mein Avatar von einer oder einem Fremden begrapscht, erlebe ich das wirklich als Begrapschen, auch wenn es letztendlich keine physische Berührung ist“, so Jungwirth. Aus den ersten Erfahrungen der Spielerinnen und Spieler wurden daher sogenannte „Personal Boundary Systems“, Schutzzonen um den eigenen Avatar, implementiert, die solche Arten körperlicher Belästigung verhindern sollen.

Hinweis

Der Begriff Immersion bezeichnet das Erlebnis des Eintauchens in eine virtuelle Realität wie ein Spiel oder einen Film. Die Grenzen zwischen Realität und virtueller Welt verschwimmen, Spielerinnen und Spieler empfinden die Online-Welt als real. Aufwändig gestaltete Online-Games und Controller, die eine natürliche Handhabe ermöglichen, führen zu einer starken Immersion.

Zumindest der Effekt der Enthemmung durch die Anonymität sei in VR-Welten jedoch möglicherweise geringer. Beispielsweise Hasspostings oder beleidigende Kommentare kommen im Internet generell häufiger vor, da Userinnen und User nicht selten mit einem falschen Namen anstelle ihres sogenannten Klarnamens auf sozialen Netzwerken angemeldet sind. Ein Grund dafür, warum etwa Facebook ursprünglich eine Klarnamenpflicht einführte, das Posten müsse aber laut einem Anfang des Jahres verkündeten Gerichtsbeschluss des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) auch anonym möglich sein. Die Anonymisierung würde laut Jungwirth aber generell etwas überschätzt. „Das Posten von Hasskommentaren wird leichter, wenn man dem Gegenüber nicht ins Gesicht schauen muss“, ist er der Meinung, „Die spannende Frage ist, ob in der virtuellen Welt, wo ich dem Avatar ja sehr wohl wieder in die Augen schauen kann, dieser Online-Enthemmungs-Effekt reduziert wird.“

Hinweis

Welche Gefahren für Jugendliche von Social Media-Plattformen wie Instagram, Snapchat und TikTok ausgehen und wie Eltern ihren Kindern im Umgang damit zur Seite stehen können, erfahren Sie im Beitrag „Jugendliche auf Social Media – Trends, Risiken und Tipps für Eltern“. Was Eltern und Kinder gegen Cybermobbing tun können, lesen Sie im Beitrag „Erste Hilfe bei Cyber-Mobbing: Tipps für Eltern und Kinder.

Metaversum: kommerzielle Interessen und Datenschutz

Das Vorantreiben der Entwicklung eines Metaversums basiert jedoch bei Weitem nicht nur auf der Begeisterung für einen gemeinsam genutzten virtuellen Raum. „Diese Entwicklung ist schon sehr stark von einem kommerziellen Interesse getrieben“, weiß Jungwirth. Obwohl noch kein allumfassendes Metaversum existiert, prognostiziert der Finanzdienst Bloomberg Intelligence dem fiktiven Universum ein Marktpotenzial von 800 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024. „Es wird in den digitalen Welten bereits mit virtuellen Gütern wie Schuhen, Kleidung oder sogar Grundstücken gehandelt, die natürlich für Unternehmen sehr wenig Herstellungskosten bedeuten. Dass hier versucht wird, über eine intensivere Art der Werbung mit Kindern und Jugendlichen Geschäfte zu machen, ist ein wesentlicher Faktor. Auch hier spielt der immersive Charakter wieder eine maßgebliche Rolle“, erklärt der ÖIAT-Geschäftsführer. So könnte sich das Metaverse künftig zu einer neuen Form des E-Commerce entwickeln. Kritisch ist hier der Datenschutz.

Immerhin ist eines der marktkräftigsten Unternehmen der Sparte das zu Facebook gehörige Oculus VR. Und nachdem 2018 bekannt wurde, dass die Firma Cambridge Analytica über 80 Millionen Datensätze von Facebook-Nutzerinnen und Nutzern für die Erstellung von psychologischen Profilen nutzte, scheinen die Bedenken bezüglich des Datenschutzes berechtigt. Über virtuelle Realitäten ließen sich neben personenbezogenen Daten wie Standort, Suchanfragen oder sozialen Beziehungen auch nonverbales Verhalten wie Körperhaltung, Gestik oder Mimik erheben. In Zukunft werden daher voraussichtlich weitere Datenschutz-Gesetze etwa bezüglich Eyetracking-Rohdaten notwendig. Aber nicht nur Unternehmen sollen nicht ungewollt an persönliche Daten gelangen. Durch das Löschen sämtlicher Informationen vor der Weitergabe des technischen Zubehörs wird verhindert, dass Fremde Zugriff auf die persönlichen Daten erhalten. Besonders bei Metaversum-ähnlichen Spielen oder in Zukunft dem Metaversum selbst, könnten sonst Dritte einen Avatar in Beschlag nehmen und mit der fremden Identität durch die virtuelle Welt spazieren. Wie bei allen technischen Geräten ist daher ein Werksreset, also das Zurücksetzen der Brille auf die Werkseinstellungen, ratsam. Aber Achtung: Oft müssen manche Daten separat gelöscht werden. Ob das bei Ihrer VR-Brille der Fall ist, erfahren Sie in der Regel auf der Hilfe-Seite des jeweiligen Unternehmens.

Das Metaversum als einheitlicher Raum

Ob eine durchgehende Einheitlichkeit im Metaversum allerdings jemals existieren wird, ist Jungwirth skeptisch. „Es geht hier um Schnittstellen und Standards, auf die sich Unternehmen einigen müssten. Derzeit können sie sich nicht einmal auf ein einheitliches Smartphone-Ladekabel einigen“, meint er. Ohne diese Einigungen ist ein nahtloser Übergang zwischen den verschiedenen Anwendungen und Welten nicht möglich. In der nächsten Phase des „begehbaren Internets“ werden sich Jungwirth zufolge verschiedene Anwendungsbereiche herauskristallisieren, in denen das Metaverse einen Mehrwert darstellt. „Ich halte es für realistisch, dass sich im Arbeits-Kontext etwa virtuelle Meetings durchsetzen werden - quasi eine Weiterentwicklung der Zoom- und Teams Meetings“, so der ÖIAT-Geschäftsführer. Auch im weit fortgeschrittenen Bereich des Spiele-Entertainment werde es mit Sicherheit entsprechende Weiterentwicklungen geben. Ob Userinnen und User in Zukunft statt mit einem Browser ins Internet zu gehen, mithilfe einer VR-Brille das Metaverse betreten, hält der Experte jedoch für fraglich.

Tipp

Am 25. April 2023 findet ein Online-Webinar des ÖIAT zum Thema „Digitale Spiele: Was findet mein Kind so toll daran?“ statt. Auch saferinternet.at bietet eine bereits laufende Webinar-Reihe zu verschiedenen Themen des sicheren Umgangs mit dem Internet für Erwachsene an.

Letzte Aktualisierung: 25. April 2022

Für den Inhalt verantwortlich: A-SIT Zentrum für sichere Informationstechnologie – Austria